„Ich bin ein bisschen schüchtern“ – Anna Böhm, Tim Warnes
„Du bist aber schüchtern!!“ – Habt ihr selbst das als Kind ab und an mal gehört oder sagen das manche zu euren Kindern? Oft hört man einen kleinen Vorwurf aus diesem Satz. Die Großtante versteht nicht, warum das Kind nicht zur Begrüßung die Hand geben möchte und der Kollege findet es seltsam, dass es sich beim Treffen in der Stadt hinter den Beinen des Vaters versteckt. Soll man etwas Spezielles raten, wie die Kinder in diesen Situationen handeln sollen? Nein! Es braucht einfach Verständnis! Und dabei hilft das wunderbare Bilderbuch „Ich bin ein bisschen schüchtern“ von Anna Böhm und Tim Warnes.
Als das kleine Kätzchen Nora zusammen mit ihren Freunden aus einem großen Pappkarton und Decken gerade eine gemütliche Höhle baut, klingelt es an der Tür. Ein neuer Nachbar steht vor der Tür, um sich vorzustellen. Bill ist ein kleiner Vogel, der gerne singt und immer fröhlich ist. Im Haus fliegt er vom einen zu anderem, stellt sich jedem mit seiner sehr lauten Stimme vor. Nora kommt damit gar nicht gut zurecht. Sie kennt ihn doch gar nicht! Und auf einmal ist überall so eine Aufregung. Also Nora dann auch noch dem Vogel „Guten Tag“ sagen und die Hand geben soll, wird es noch schlimmer. Ihr Herz klopft und sie fühlt sich ganz seltsam.
Die große Schäfli berichtet dem Vogel, dass Nora etwas schüchtern sei. Aber auch Bills Hinweis, dass Nora dies nicht sein muss, hilft nicht weiter. Für die kleine Katze wird die Situation nicht besser, denn beim Kuchenessen im Garten wird sie aufgefordert, sich neben den neuen Nachbarn zu setzen. Sie beobachtet alles lieber hoch oben von ihrem Baumhaus aus, in das Bill aber auch hinein fliegt. Als er sie dann lautstark bittet, mit ihm zusammen zu singen, ist es Nora endgültig zu viel. Sie würde ja gerne Kuchen essen oder singen, aber sie traut sich einfach nicht und niemand scheint das zu verstehen. Sie läuft ins Haus in ihre Höhle, in der allerdings schon der große Esel Eddi sitzt. Er gesteht ihr, dass er auch nicht gerne einfach so mit Fremden reden mag. Zusammen bauen sie weiter an ihrer Höhle, bis sie einen Hilferuf aus dem Garten hören. Bill hat sein geliebtes Instrument verloren und sucht verzweifelt danach. Nur Nora weiß, wo es ist und sie traut sich nun auch, etwas vor ihm zu sagen. Sie fühlt sich auf einmal wieder wohler und hört nun auf, sich zu verstecken. Es wird ein schöner Nachmittag zusammen mit ihrer Familie und Bill, der zwar etwas laut, aber auch sehr nett ist.
Anna Böhm schafft es ganz wunderbar, dass sich Kinder schnell mit Nora identifizieren können. Es wird deutlich, wie unwohl sich Kinder fühlen können, wenn etwas Neues auf sie zukommt, eine fremde Person sie anspricht oder sie irgendwo mitmachen sollen, wo sie sich noch nicht sicher auskennen. Zu fremd, zu neu, zu spontan, zu laut – es kann viele Gründe für ein ungutes Gefühl geben. Und dann kommt vielleicht noch dazu, dass man gerne mitmachen möchte, aber sich einfach nicht traut. Ganz schön viel! Nora zieht sich zurück und merkt, dass es anderen genau so geht wie ihr. Erst, als sie es von sich aus möchte und etwas an die Situation gewöhnt hat, „taut sie auf“ und kommt wieder heraus. Das Buch ist ein Plädoyer dafür, das kindliche Verhalten so anzunehmen, wie es ist und dem Kind Zeit zu geben, sich auf neue Situationen einzustellen. Liebenswerte Charaktere, entzückende Illustrationen – ein wundervolles Bilderbuch ab 4 Jahren.
Anna Böhm, Tim Warnes, Ich bin ein bisschen schüchtern, Oetinger Verlag 2023.