Krieg und Flucht im Kinderbuch: „Wir sind Wölfe“
Ein Kinderbuch über Krieg und Flucht… Wir haben das Buch für eine Rezension angefragt, als die weltpolitische Lage noch eine andere war. Nun liest sich „Wir sind Wölfe“ von Katrina Nannestad fast noch erschreckender als eh schon. Ich habe dieses sehr berührende und gleichzeitig faszinierende Kinderbuch ab 10 Jahren in Rekordzeit gelesen. Im Jahr 1945, kurz vor dem Ende des zweiten Weltkrieges, rückte die Rote Armee nach Ostpreußen vor. Viele Menschen mussten fliehen und alles zurücklassen, viele andere haben ihr Leben gelassen.
Eine Flucht aus Ostpreußen
Die elfjährige Liesl lebt zusammen mit ihrem siebenjährigen Bruder Otto, Baby Mia, ihren Eltern und Großeltern glücklich in einem Dorf in Ostpreußen. An einem Herbsttag steht der Vater in Uniform vor ihnen. Nach vielen Kriegjahren muss er nun doch, trotz eines Hinkebeins, den Dienst an der Waffe antreten. Alles sind untröstlich. Die Kinder glauben aber fest an einen deutschen Sieg, so wie es die Lehrerin in der Schule immer sagt. Opa redet, wenn er sich ungestört fühlt, aber anders und hat schon längst das Bild des Führers an der Wand umgedreht. Die Tage vergehen und ein Weihnachtsfest ohne den Vater steht vor der Tür. Die Mutter tauscht ihre beste Perlenkette ein, um den Kindern eine Gans am Weihnachtsbraten bieten zu können. Als es plötzlich klingelt, ist es nicht die ersehnte Weihnachtsüberraschung, sondern ein Telegram: der Vater ist verschollen. Ab dann gibt es nur noch wenige schöne Tage.
Die Mutter trauert, die Schule fällt aus und man hört mehr und mehr von herannahenden russichen Soldaten. Dann kommt der Tag, an dem die Erwachsenen entscheiden, dass ihnen nur noch eine Flucht übrig bleibt. Bei eisiger Kälte wird der Pferdewagen gepackt, die Kinder und die Oma obenauf, der Opa und die Mutter daneben. Sie ziehen von Dorf zu Dorf, in einer großen Gruppe von Menschen. Das Essen ist knapp, die Nächte in den Scheunen sind kalt. Irgendwann kann die Oma nicht weiter laufen und die Mutter zieht mit den Kindern alleine weiter. Sie gelangen bis zum Haff an der Ostsee – und verlieren diese dort bei einem Angriff aus den Augen. Nun sind die Kinder auf sich gestellt…
Berührend, erschreckend und aktueller denn je
Facettenreich, eindrucksvoll und sehr berührend begleitet man die ostpreußische Familie aus der Sicht der Elfjährigen bei ihrer Flucht. Die ganze Wut der Gefühle trifft die Leser*innen direkt. Zuversicht, dass sie deutsche Armee es schon schaffen wird wechselt sich ab mit kindlichem und erwachsenem Hass auf Hitler und auf die angreifenden Soldaten. Die Erwachsenen geben alles, um die Kinder zu schützen und die großen Kinder tun dies ebenfalls für ihre jüngeren Geschwister.
Bei der Flucht gibt es auch immer wieder schöne Momente. Wenn Menschen und Tiere in einer warmen Scheune versammelt sind und Lieder singen. Oder wenn die Kinder einen verlassenen Hof mit vielen Lebensmitteln finden und sich um die Tiere kümmern. Manchmal werden aus Feinden Freunde und am Ende gibt es zumindest ein kleines Wunder. Der Verlag empfiehlt das Buch ab 10 Jahren, ich würde es etwas höher ansiedeln. Mit Sicherheit auch eine gute Lektüre für die Schule.
Katrina Nannestad, Wir sind Wölfe, mit Illustrationen von Martina Heiduczek, übersetzt von Bettina Obrecht, cbj Verlag 2022.
Das Buch wurde uns vom Verlag für eine Rezension zur Verfügung gestellt.