„Der erste Schritt“
Heute möchten wir euch ein ganz besonderes, wertvolles Bilderbuch zeigen, das man „nicht mal eben so“ mit kleineren Kindern lesen kann. „Der erste Schritt“ von Pija Lindenbaum ist eine philosophische Geschichte über soziale Gerechtigkeit, den Wert individueller Freiheit und die Wichtigkeit, den Status Quo kritisch zu hinterfragen.
Nicht jedes Kind wird gleich behandelt
Ein Kind lebt zusammen mit vielen anderen Kindern in einem großen Haus in den Bergen. In den beiden Häusern daneben wohnen, spielen und essen weitere Kinder, die hier ohne Eltern leben. Eine Erwachsene, die Schäfin, lebt dort ebenfalls und kümmert sich um alles. Die Kinder dürfen laufen und spielen, solange sie nicht über die Linie gehen, die kreisrund um das Grundstück gezogen ist. Dort ist es sicher, dort wissen sie, was sie erwartet. Den Tagesablauf für die Kinder bestimmt die Schäfin: Erst gibt es Frühstück, danach wird Musik gemacht, gemalt und Sport gemacht. Am Nachmittag gehen sie auch mal zusammen spazieren und dürfen sogar im See schwimmen und Boot fahren. Am Mittwoch werden immer allen Kindern die Haare geschnitten, immer mit der gleichen Frisur.
Bei all den Aktivitäten fällt dem erzählenden Kind etwas auf: die Kinder aus dem Primelhaus dürfen oft nicht mitmachen. Sie müssen Kartoffeln schälen, Socken sortieren und Steine schleppen, während die anderen schöne Sachen machen. Er spricht die Schäfin auf diese Ungerechtigkeit an, die dem zustimmt und nur sagen kann, dass alles gut so ist und dass sie Ungerechtigkeiten mag. Zusammen mit den Freunden entwickelt der Junge einen Plan. Sie bieten den Primeln an, mit ihnen die Rollen (und die Kleidung) zu tauschen, so dass diese auch einmal die schönen Sachen erleben dürfen und nicht nur arbeiten müssen. Der Plan gelingt. Am nächsten Tag spielen die Primeln zum ersten Mal Federball und hüpfen auf dem Trampolin, die anderen nicht.
Der Junge hat weitere Ideen, um die Abläufe durcheinander zu bringen. Er versteckt den Haarschneidetopf, so dass diese Aktion ausfallen muss. Die Schäfin merkt nach und nach, dass etwas nicht stimmt, ist aber so verwirrt davon, dass sie kaum reagieren kann. So kommt es, dass die Kinder sich an einem Tag auch auf der Suche nach Blaubeeren über die gezogene Linie trauen. Als nichts Schlimmes geschieht, schreiten alle darüber hinweg – und beschließen, von nun an selbst die Bestimmer zu sein.
Eine Parabel über Gerechtigkeit
Das erzählende Kind scheint zu einem ganz zufrieden mit seinem Leben zu sein. Es steht auf der Sonnenseite, hat viele Vorteile und muss sich keinen Widrigkeiten stellen. Doch trotzdem fühlt er sich immer wieder eingegrenzt und in seiner Freiheit beschränkt. Er sieht auch, dass es anderen nicht so ergeht wie ihm und beginnt, das ganze System zu hinterfragen – und schließlich sogar, es aktiv zu bekämpfen. Eine besondere Parabel über Gerechtigkeit, die man auf viele Verhältnisse anwenden und auch gut z.B. im Philosophieunterricht einsetzen kann.
Pija Lindenbaum, Der erste Schritt, aus dem Schwedischen von Jana Hemer, Klett Kinderbuch 2023.