„Forschungsgruppe Erbsensuppe oder wie wir Omas großem Geheimnis auf die Spur kamen“ – Rieke Patwardhan
Flucht und Vertreibung sind weltweit betrachtet leider zu allen Zeiten ein Thema, aber seit einigen Jahren ist dieses Problem auch in Deutschland durch die indirekten Folgen wieder deutlich präsenter. Für eine Seite meiner Familie war „Flucht“ nie nur ein Wort, das man mal in den Nachrichten gehört hat. Meine Großeltern mussten als Kinder bzw. Heranwachsende aus ihrer Heimat Ostpreußen fliehen und waren zum Teil jahrelang auf der Flucht. Das Erlebte hat sie stark geprägt und konnte nie vergessen werden.
In „Forschungsgruppe Erbsensuppe oder wie wir Omas großem Geheimnis auf die Spur kamen“ von Rieke Patwardhan treffen beide Themen aufeinander. Dabei heraus gekommen ist ein generationenübergreifendes, spannendes, witziges und emotionales Buch für geübte Leser*innen ab ca. 8 Jahren. Darin wird deutlich, dass die eigene Vergangenheit einen doch immer wieder einholen kann, selbst wenn man meint, alles weit hinter sich gelassen zu haben und dass Integration sehr gut gelingen kann, wenn man weiß, wie. [Rezensionsexemplar]
Die Gründung einer Bande
Nils ist in der dritten Klasse und insgesamt von ruhiger und schüchterner Natur. Ganz anders Evi, die oft wütend und laut ist und wahrscheinlich deswegen neben Nils gesetzt wird. Da alle anderen aus der Klasse Teil einer Detektivbande sind, möchte Evi auch eine gründen – mit Nils! Aber Banden brauchen eine Aufgabe und die haben sie nicht.
Lina aus Syrien
Die Aufgabe für die Bande kommt mit Lina, der neuen Schülerin, die aus Syrien geflüchtet ist und nun hier wohnt. Die anderen Mitschüler reißen sich darum, Lina zu integrieren, nur auf seltsame Art und Weise („Baum. Das ist ein Baum. Los, sprich mir nach: Baum!“ S. 24). Lina wird also von Evi und Nils mitgenommen zu den Bandentreffen, die jeden Nachmittag nach der Schule bei Nils Großeltern stattfinden. Dort kocht Oma leckeres Essen und Kakao und Opa erzählt schöne Geschichten. Schon bald quatscht Lina ebenso viel und gut wie Evi und alle genießen die schönen Nachmittage.
Flüchtlinge unter Verdacht
Aus Nils‘ Klasse verbreiten einige Schüler böse Gerüchte über Flüchtlingskinder und die Bande erzählt dies sofort empört den Großeltern. Beide reagieren sehr sauer und der Opa berichtet, dass es früher hier schon Geflüchtete gegeben hat, auch in Opas Familie, die für ein kleines Mädchen mit roter Schleife im Haar und ihre Mutter ein Zimmer räumen mussten.
Oma und die Erbsensuppe
Von da an verhält sich Oma zunehmend seltsamer. Sie schaut viel Nachrichten, kocht kaum noch, packt einen Koffer und kauft hunderte Dosen Erbsensuppe, die sie in der Wohnung hortet. Opa kann nicht viel erklären und bittet die Kinder nur, sich doch in Nils Wohnung zu treffen anstatt bei ihnen. Da ist für die Bande klar, dass etwas nicht stimmt und „der Fall der Erbsensuppe“ gelöst werden muss.
Beschattung bei Nacht
Die Bande beginnt, Oma und Opa heimlich nachzuspionieren und vor allem Nils bekommt es mit der Angst zu tun, dass seine Eltern die Oma in ein Pflegeheim geben wollen. Eines Nachts schleichen sie sich in die Wohnung und diese durchsuchen heimlich. Neben ganz viel Erbsensuppe finden sie ein altes Fotoalbum von Oma mit Baby- und Kinderfotos, die bis 1944 datiert sind. Zuletzt finden sie noch ein Foto eines kleinen Mädchens mit roter Schleife im Haar aus dem Jahr 1945.
Opa klärt auf
Nachdem die Bande den Dosenstapel mit Erbsensuppe umgestoßen hat, sind auch alle Erwachsenen (bis auf Oma) wach. Nun ist es an der Zeit, dass die Kinder eine Erklärung bekommen. Opa berichtet, dass Oma als Kind aus ihrer Heimat geflohen ist und viel Elend im Krieg und auf der Flucht erlebt hat – wie Lina. Oma hat nun mehr und mehr Angst bekommen, erneut fliehen zu müssen und wollte dieses Mal, anders als früher, vorbereitet sein. Leider hat sie es damit etwas übertrieben und die Familie versucht nun, mit Hilfe eines Psychologen zu helfen. Dass sie ins Heim muss, steht zu Nils‘ großer Erleichterung nicht zur Debatte.
Fazit
Ich finde das Buch, nicht nur unter dem Aspekt der doch schwierigen Thematik, sehr gut gelungen. An das Thema „Integration von Flüchtlingen“ wird, vor allem durch die Figur Evis, schön pragmatisch und ohne erhobenen, moralisierenden Zeigefinger herangegangen. Beide nehmen Lina mit zu ihren Unternehmungen (aber schon klar mit dem Ziel, sie zu integrieren) und lassen sie einfach mitspielen, mitreden und mitstreiten. Lina ist mutig und stark, die Angst davor, abgeschoben zu werden oder über schreckliche Erlebnisse aus dem Krieg zu sprechen, merkt man ihr aber natürlich immer mal wieder an.
Die Großeltern bzw. hauptsächlich die Oma von Nils kennen all das, was Lina gerade durchgemacht hat. Es werden immer wieder Parallelen gezogen und beide können sich gut in sie hineinversetzen. Was Flucht und Kriegserlebnisse auch noch viele Jahrzehnte später bewirken können, wird bei der Oma deutlich. Dass das Buch ein offenes Ende hat und nicht klar ist, wie, wann und ob der Oma geholfen werden kann und der Alltag wieder einkehrt, finde ich gut. Zumindest die Hoffnung steht zumindest am Ende, dass sie aus ihrem Tief wieder hinaus kommt.
Rieke Patwardhan, Regina Kehn (Illustration), Forschungsgruppe Erbsensuppe oder wie wir Omas großem Geheimnis auf die Spur kamen, Knesebeck Verlag. https://www.knesebeck-verlag.de/forschungsgruppe_erbsensuppe/t-1/762