„Mama, nicht schreien! Liebevoll bleiben bei Stress, Wut und starken Gefühlen“ – J. Mik, S. Teml-Jetter

„Mama, nicht schreien! Liebevoll bleiben bei Stress, Wut und starken Gefühlen“ – J. Mik, S. Teml-Jetter

Juni 6, 2019 0 Von Maike

Mal ehrlich, wer kennt folgende Situationen nicht: Man muss sich morgens beeilen und das Kind will sich partout nicht alleine Anziehen. Man will helfen, holt einen Pulli aus dem Schrank, der dann aber schreiend in die Ecke geworfen wird. Man wird wütend und teilt das dem Kind lautstark mit. Oder man ist abends völlig fertig und müde vom Tag, das Kind hüpft noch fröhlich herum, will keine Zähne Putzen und an Schlafen ist noch überhaupt nicht zu denken. Auch hier mag bei den Eltern Wut oder Aggression hochkommen, die man verbal am am Kind auslässt, vor allem wenn man wütend und unsicher an die Tipps der Nachbarn denkt, dass man sowas doch nicht durchgehen lassen kann. Sowohl Eltern als auch Kindern geht es in diesen Situationen nicht gut. Die Eltern wollten vielleicht so nicht handeln, fanden aber keinen anderen Ausweg. Das Kind wird von den Eltern angebrüllt, es wird ihm gedroht und es fühlt sich schlecht dadurch. Alles nicht schön, oder? [Rezensionsexemplar]

sdr

Jeannine Mik und Sandra Teml-Jetter haben mit „Mama, nicht schreien! Liebevoll bleiben bei Stress, Wut und starken Gefühlen“ * ein Buch herausgegeben, das sowohl ein Problembewusstsein hierfür schaffen möchte als auch hilfreicher Ratgeber sein will, um Eltern dabei zu unterstützen, mit ihren eigenen Gefühlen umzugehen, versteckte Belastungen zu finden und im Umgang mit ihren Kindern angemessen und zum Vorteil aller Beteiligten zu interagieren.

Die Grundgedanken

Elternschaft kann doch etwas so Wundervolles und Schönes sein, aber sie kann auch so schwierig sein. Eltern sind in vielen Fällen hilflos, geraten in Wut und Aggression und sehen die Kinder als Ursache dessen. Doch sie sind der Auslöser, die Ursachen liegen tiefer. Im Alltag gibt es viele Baustellen (Beruf, Stress, schwierige Beziehungen). Es ist laut den Autorinnen ok, wenn nicht immer alles klappt (wie auch?). Aber wenn die Probleme zu groß werden und sich auf die Beziehungen zu unseren Liebsten, auch unseren Kindern, auswirken, kann es Folgen haben.

„Mama, nicht schreien!“, S. 22, Kösel Verlag

Die Autorinnen sind der Ansicht, dass man es aktiv ändern kann, nicht mehr so schnell gereizt zu sein und lernen kann, dem Kind liebevoller zugewandt zu sein. Hierzu muss man sich auf eine Reise zu sich selbst begeben, lernen, mit den eigenen Gefühlen besser umzugehen, damit die eigenen Gefühle einen nicht mehr so überrollen. Das Kind muss nicht geändert werden, weil es nicht zum Rest passt, sondern man soll bei sich (dem eigenen Denken und Fühlen, dem Umfeld, den Belastungen und Ansprüchen) etwas ändern, um wieder besser atmen zu können. Wenn man das Gefühl hat, es nicht alleine zu schaffen, raten die Autorinnen klar dazu, sich ggf. (professio-nelle) Hilfe zu holen.

„Know your Trigger: Was macht dich wütend?“ (S. 26)

Das Kapitel startet mit einer einfachen Übung zum Ankreuzen, die aber Vieles deutlich werden lasst: Was macht mich, auf das Kind bezogen, den Partner und mich selbst, wütend? Und warum? Die Autorinnen merken an, dass man meist auf jeden Fall wütend wird, wenn Grundbedürfnisse nicht erfüllt sind (Schlaf, Nahrung) und merken an, dass viele Mütter, ggf. zum eigenen Nachteil, das Wohlergehen aller anderen über das eigene stellen.

Trotz der wichtigen Fokussierung auf das eigene Wohlbefinden stellt sich die Frage, warum sich Kinder ändern müssen, damit es mir besser geht. Hier wird von emotionaler Abhängigkeit gesprochen, in die das Kind zwangsweise gerät. Ein Kind muss nicht gehorsam sein, wie es in unserer Kindheit vielleicht Ziel war. Da sollte das Kind so geformt werden, dass es für die Gesellschaft passt, ansonsten gab es Strafen. Es folgte Anpassung, damit man geliebt wird.

Für die Autorinnen steht fest, dass allen Gefühlen Raum gegeben werden muss, auch den negativen. Nichts darf kleingeredet werden. Kinder empfinden z. B. wahre Not, wenn sie kreischend auf dem Boden des Supermarktes liegen und Eltern sollten das Kind begleiten, anstatt Vorwürfe zu machen und die Not kleinzureden. Die Autorinnen fügen hier immer wieder anschauliche und lebensnah Beispiel aus dem Alltag ein.

„Die Wut in dir“ (S. 59)

Kinder wie Erwachsene kennen Wut nur zu genau. Diese normale (u.a. chemische) Reaktion des Körpers dauert genau 90 Sekunden und in dieser Zeit sollte man sich um sich selbst kümmern. Wir sollten dabei lernen, diese Wut nicht (!) am Kind auszulassen, was eine Schritt für Schritt- Lernprozess sein wird. Hierzu geben die Autorinnen Tipps und Notfallpläne, die man notfalls blitzschnell abrufen kann. Sie machen hier auch deutlich, dass verschiedene Menschen verschiedene Typen von Beruhigungsstrategien brauchen und stellen diese vor.

S. 83

„Mit Kindern reden und leben“ (S. 78)

„Bewusste Eltern verbringen ihre Elternschaft auf den Knien.Und zwar nicht, weil sie unterwürfig wären, sondern weil sie wissen, wie wichtig es ist, auch körperlich auf Augenhöhe mit dem Kind zu sprechen.“

„Mama, nicht schreien!“, S. 79

Eine Kommunikation, da sind sich die Autorinnen sicher, sollte immer auf Augenhöhe ablaufen, und damit ist nicht nur das Körperliche gemeint. Wir sollten nie Kindern die Schuld für unsere Gefühlen geben („Warum bist du so anstrengend?“), weil sie das abwertet und ihnen weh tut, sondern immer von mit selbst sprechen. Sie empfehlen und erklären den Aufbau einer „Ja- Beziehung“ (S. 86), die aber nicht heißen soll, dass man sich selbst verneint. Zudem erläutern sie eine Strategie, mit der man es schaffen kann, mit täglicher Angst (Beipiel: das Kind hat die frisch geputzt Küche in ein Chaos verwandelt und man weiß nicht, was man jetzt tun soll) und negativen Gefühlen umzugehen.

Toleranz

Jeder Mensch hat, u.a. aufgrund von verschiedenen Prägungen in der Kindheit, ein bestimmtes Toleranzfenster, in dem man sich wohl fühlt. Durch frühere psychische Verletzungen, Einsamkeit, wenig emotionale Bindung oder Ähnliches kann dieses Fenster recht klein sein und man ist eher an seinen Grenzen und in der Wut drin. Die Autorinnen bieten auch hier verschiedene Übungen und Nothilfe an, um dieses wieder etwas mehr zu öffnen.

Verpflichtungen

Die Autorinnen stellen die interessante Frage, wozu man eigentlich verpflichtet ist und welche Prioritäten man sich in der Familie setzen sollte. Was ist wirklich so wichtig, dass man dafür Ressourcen einsetzt? Was kann ggf. umstrukturiert oder abgegeben werden?

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Hier wird dann auch noch ein interessanter Punkt angesprochen, der sich auf die eigene Gefühlswelt auswirken kann: mögliche Traumata bzw. negative Erlebnisse in der Baby- und Kleinkindzeit (Schreien Lassen, Strafen, Wegsperren), die daher rührten, dass jeder eigene Wille des Kindes sofort im Keim erstickt wurde. Die Autorinnen haben hier einen sehr spannenden Fragebogen zur eigenen Biographie angefügt, der vielleicht helfen kann, sich über Einiges klar zu werden.

Beziehungen

Unsere Kinder stehen nicht nur mit uns in einer Beziehung, sondern noch andere Personen wie beispielsweise Großeltern usw. Die Autorinnen geben ein Beispiel, das sicherlich vielen bekannt vorkommt: die Großmutter will zum Besten des Kindes handeln, verteilt vor dem Essen Süßigkeiten und handelt auch noch gegen andere Grundsätze der kleinen Familie. Dadurch entsteht ein Konflikt zwischen den Eltern, die ihn ganz unterschiedlich lösen können, je nachdem in welcher Art von Allianz diese zueinander stehen. Der jeweilige Paarraum und die Teamfähigkeit innerhalb der Familie wird weiter beleuchtet und einige Übungen hierzu werden aufgezeigt.

Das Verhalten von Erwachsenen und auch von denen der jetzigen Großelterngeneration wird gegen Ende des Buches nochmals aufgegriffen. Wer verhält sich reif, wer – auch noch im Erwachsenenalter – unreif? Wer rollt eher mit den Augen als sich um einen Dialog zu bemühen? Mithilfe eines wunderbaren, für viele sicher gut nachvollziehbaren Beispieles eines Familienkonfliktes an Weihnachten wird sehr deutlich gemacht, wie unterschiedlich die heutigen Großeltern interagieren und das ganze Familienleben beeinflussen können. Die Mutter in dem Beispiel lässt ihrer Wut dann übrigens dann durch Schreien ihrem Kind gegenüber Raum. Die Autorinnen sprechen von dem Prozess der „Entelterung“ gegenüber den jetzigen Großeltern, der manchmal positiv für das Familiengefüge sein kann, von Energie raubenden Schemen befreien kann und ggf. auch professioneller Hilfe bedarf.

„Wie gesagt: Familie ist ein System. Verändert sich ein Teil, macht das auch mit den anderen etwas.“

„Mama, nicht schreien!“, S. 199.

Fazit

Die beiden Autorinnen haben sich in ihrem Buch viel vorgenommen und große Ziele gesetzt. Die Erwartungen seitens der Leserschaft sind hoch, ist das Thema doch eigentlich für so gut wie alle Eltern bzw. alle Familien so präsent und wichtig. Die Kombination daraus, zum einen darauf erst einmal aufmerksam zu machen, was oftmals u. A. in der familiären Kommunikation und Beziehungsstruktur falsch läuft und zum anderen Tipps, Impulse und Übungen in die Hand zu geben, wie das besser laufen kann, ist sehr gut gelungen.

Das eigene Verhalten wurde mir vielfach erst so richtig deutlich ebenso wie die „Fallen“, in die man unbewusst immer wieder hineintappt, seinen es die Erwartungen und Ansprüche der Umgebung oder die eigenen. Die vielen lebensnahen Beispiele, mit denen die Autorinnen arbeiten, ergänzen sich gut mit wissenschaftlichen Erklärungen von (Beziehungs-) Theorien. Viele konkrete, nützliche und im Alltag umsetzbare Tipps zur eigenen Beruhigung, zur Kommunikation mit Kind und Partner, zur Abarbeitung von „Altlasten“ und zum Erkennen der eigenen Wünsche und Bedürfnisse ergänzen dies. Was ich auch gut fande, war der immer wiederkehrende Hinweis, dass man sich (ggf. professionelle) Hilfe holen soll, wenn es nicht mehr geht und das man sich selbst nicht aus dem Auge verlieren darf.

Das Buch ist sicherlich nicht nur für Familien mit ganz kleinen Kindern geeignet, sondern ich würde es bis in die Pubertät der Kinder hinein empfehlen. Vielleicht finden auch einige aufgeschlossene Großeltern hier einige interessante Punkte. Das Einzige, was mich doch etwas gestört hat, ist, dass ganz selten nur von den Vätern gesprochen wurde und auch der Titel sich doch sehr an Frauen richtet. Vielleicht hätte man die Papas etwas mehr ins Boot holen können.

Jeannine Mik, Sandra Teml-Jetter, Mama, nicht schreien! Liebevoll bleiben bei Stress, Wut und starken Gefühlen, Kösel Verlag, 2019.

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